Thüringer Trainings- und Bildungsprogramm (TTB)
Das Projekt wurde 2004 im Rahmen des Bundesprogramms CIVITAS entwickelt. Es wird seitdem durch das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz finanziert. Hintergrund des Projektes waren Erfahrungen in der Anti-Gewalt-Arbeit mit Jugendlichen im Jugendarrest und Jugendstrafvollzug. Dabei hat sich gezeigt, dass die Arbeit an dem Gewalthandeln der Jugendlichen nicht ausreicht, sondern auch die Gründe und Rechtfertigungsstrategien der Jugendlichen bearbeitet und zugleich Bildungsimpulse gesetzt werden müssen. Zudem basiert das Projekt auf der Beobachtung, dass rechtsextreme Szenen für gewaltbereite Jugendliche besonders attraktiv sind. Jugendliche kommen im Jugendarrest bzw. im Jugendstrafvollzug häufig mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen in Kontakt, so dass eine Sozialisierung in rechtsextreme Szenen dort stattfinden kann. Das TTB reagiert darauf mit einem doppelt präventiven Ansatz, der Gewaltprävention mit Arbeit an den rechtsextremen und vorurteilsbelasteten Einstellungen der Jugendlichen verbindet.
_(Ablauf)_
Das Thüringer Trainings- und Bildungsprogramm wird aktuell in Form von zweiwöchigen Trainings im Jugendarrest durchgeführt. Es liegen auch Erfahrungen aus der Umsetzung im Jugendstrafvollzug vor. Zielgruppen sind zum einen rechtsextreme bzw. rechtsextrem orientierte Jugendliche mit ausgeprägter Gewaltneigung, die teilweise eine Straftat mit rechtsextremem Hintergrund begangen haben. Es werden aber auch gezielt Jugendliche angesprochen, die sich in rechtsextrem geprägten Umfeldern bewegen oder aufgrund ihrer Gewaltneigung, ihrer fremdenfeindlichen Einstellungen oder anderer Faktoren gefährdet sind, eine rechtsextreme Orientierung zu entwickeln. Die Teilnahme an den Trainings kann über eine richterliche Auflage angeordnet werden oder freiwillig erfolgen.
Die zweiwöchigen Kurse kombinieren Anti-Gewalt-Trainings mit einem an die kognitiven Fähigkeiten der Jugendlichen angepassten Bildungsprogramm. Die Anti-Gewalt-Trainings arbeiten nach der Methode des Gruppendynamischen Aggressionsschwellentrainings (GAT), das in konfrontativer und intensiver Auseinandersetzung das eigene Gewalthandeln der Jugendlichen thematisiert. Hierbei sollen die Aggressionsschwellen erhöht und die Wahrnehmung der Teilnehmenden für das eigene Gewalthandeln geschärft werden. Die Trainings sind als gruppendynamische Prozesse angelegt, bei denen diejenigen Jugendlichen als Vorbilder gestärkt werden, die den stärksten Veränderungswillen zeigen. Daher wird die Rollenbildung in der Gruppe durch die Trainer/-innen gezielt beeinflusst.
Im Rahmen des GAT wird die Tat der Jugendlichen, die den Hintergrund für den Jugendarrest bildet, sowohl aus Täter- als auch aus Opferperspektive analysiert. Die Tataufarbeitung kann theoretisch auch anhand einer Gewalttat geschehen, die nicht zum aktuellen Jugendarrest geführt hat. Die Jugendlichen lernen dabei, die eigenen Rechtfertigungsstrategien für das Gewalthandeln zu verstehen. Es gibt ein Modul zu möglichen Verletzungsfolgen sowie zu juristischen Konsequenzen für das Handeln der Jugendlichen.
Im Rahmen des Bildungsprogramms wird an den Bildungsdefiziten der Jugendlichen gearbeitet, demokratische Grundwerte werden vermittelt und fremdenfeindliche Ressentiments hinterfragt. Dabei wird u. a. auf Ansätze der paradoxen Intervention zurückgegriffen. Es wird eine Verknüpfung von beliebigen präskriptiven Gruppenattributen mit negativen Bewertungen so präsentiert, dass die Trainingsteilnehmer zu Argumentationen dagegen – also gegen die Logik ihrer ursprünglichen Einstellungen – provoziert werden. Ein weiteres, zentrales Element im Rahmen des Bildungsprogramms ist die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Hierzu wird die Gedenkstätte Buchenwald besucht und es finden Zeitzeugengespräche über das Schicksal einer jüdischen Familie im Nationalsozialismus statt. Wichtig ist, die kognitiven Fähigkeiten der zumeist bildungsfernen Jugendlichen besonders zu berücksichtigen. Lernen soll von den Teilnehmenden als etwas Positives erlebt werden. So nehmen sie aus den erlebten Lernerfolgen im Training einen Motivationsschub für das straffreie Leben nach dem Arrest mit.
An das zweiwöchige intensive Trainingsprogramm schließt sich ein gezieltes Übergangsmanagement an, das den Jugendlichen beim Start in ein gewalt- und straffreies Leben hilft. Hierzu zählen die Vermittlung von Kontakten, bspw. zur Arbeitsvermittlung oder zur Suchtberatung, aber auch die Aufrechterhaltung des Kontaktes zum Trainerteam. So stehen den Jugendlichen in akuten Krisensituationen vertraute Ansprechpartner/-innen zur Verfügung. Seit 2010 kann im Rahmen des TTB in begrenztem Umfang auch eine Nachbetreuung nach der Arrestentlassung angeboten werden.
_(Gelingensfaktoren)_
Über den Zwangskontext einer Jugendarrestanstalt können auch solche Jugendliche erreicht werden, die ansonsten für pädagogische Maßnahmen schwer bis gar nicht erreichbar sind. Zudem findet hier ein Bruch mit dem zumeist konfliktbelasteten Alltag der Jugendlichen statt. In dieser Ausnahmesituation im Jugendarrest sind die Jugendlichen eher empfänglich für pädagogische Interventionen.
Eine bereits vorhandene Veränderungsmotivation ist keine Voraussetzung für eine erfolgreiche Teilnahme an dem Training. Unabhängig von der Veränderungsmotivation kann jeder Jugendliche an dem Training teilnehmen. Auch bei den Jugendlichen, die sich freiwillig melden, ist zumeist lediglich eine extrinsische Motivation vorhanden. Eine Anfangsmotivation ist oftmals der Wunsch, dem tristen Alltag im Jugendarrest mit seinen begrenzten Ablenkungsmöglichkeiten zu entfliehen. Andere Jugendliche wollen weitere strafrechtliche Konsequenzen vermeiden oder spekulieren auf eine vorzeitige Arrestentlassung. Wichtig ist es, im Verlauf des Trainings Impulse für eine weitere Veränderungsmotivation zu setzen.
Zentral für das Gelingen der Trainings ist es, Gruppendynamiken gezielt zu nutzen. Diejenigen Jugendlichen, die den stärksten Veränderungswillen haben, müssen gezielt gestärkt werden. Zugleich gilt es zu verhindern, dass die am stärksten abgeneigten Jugendlichen die Stimmung in der Gruppe dominieren. Allerding ist es hierbei zugleich zentral, auch die eher widerstrebenden Jugendlichen mitzunehmen. Das Training verfolgt explizit einen inklusiven Ansatz.
Ausgangspunkt für die Zusammenarbeit mit den Teilnehmern ist die Aufarbeitung der begangenen Gewaltstraftaten und der jeweiligen Hintergründe. Dass sie dabei zwangsläufig auch über eigene rechtsextreme und fremdenfeindliche Einstellungen sprechen müssen, ist eine wichtige eigene Erkenntnis der Jugendlichen im Verlauf des Trainings. Indem das Training den Teilnehmern als Maßnahme zur Bearbeitung von Gewalt und Vorurteilen präsentiert wird, werden Stigmatisierungseffekte vermieden.
Eine gute Zusammenarbeit und gegenseitige Wertschätzung mit den Kooperationspartnern ist unerlässlich. So findet die Auswahl der Jugendlichen in Zusammenarbeit mit Jugendrichtern, Bewährungshilfe, Trainerteam und Arrestanstalt statt. Gerade für sensible Bereiche wie Gedenkstättenbesuche oder Zeitzeugengespräche mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen sind eine gründliche Vor- und Nachbereitung und eine vertrauensvolle Kooperationsgestaltung unabdingbar.
_(Lessons Learned)_
Bei der Auswahl der Gruppe werden gezielt auch jene Jugendlichen angesprochen, die augenscheinlich bzw. nach Aktenlage, kaum ausgeprägte rechtsextreme Einstellungsmerkmale aufweisen. Hier hat sich jedoch häufig gezeigt, dass auch bei diesen fremdenfeindliche und antidemokratische Neigungen weiter verbreitet und verfestigt sind, als es zunächst den Anschein macht.
Prinzipiell können solche Trainings nur ein erster Schritt innerhalb eines langen Prozesses sein. Das ist bei der Reflektion möglicher Ziele zu berücksichtigen. So gilt es, eine Anfangsbereitschaft zu einer Distanzierung von rechtsextremen Einstellungen zu erzeugen und Prozesse der Selbstreflexion auszulösen. Vordergründiges Ziel ist es, diese Jugendlichen in ihren Einstellungen zu irritieren.