Verantwortung übernehmen – Eltern stärken (REXEL)
Arbeit mit rechtsextrem orientierten Eltern
In den letzten Jahren haben Kinder, die in rechtsextremen Familien aufwachsen, in der Fachöffentlichkeit zunehmend Aufmerksamkeit erfahren. Die Vorstellung, dass sich eine Distanzierung von rechtsextremen Einstellungen und Verhaltensweisen quasi automatisch im Zuge der Familiengründung ergibt, gilt als überholt. Stattdessen wird diskutiert, was es für Kinder und Jugendliche bedeutet, in rechtsextrem orientierten Familien aufzuwachsen, und wie Pädagog/-innen an Schulen und Kindertagesstätten mit rechtsextrem orientierten Eltern umgehen können. Hierfür existieren bereits diverse Beratungs- und Fortbildungsangebote.
Hingegen waren keine Angebote bekannt, die sich direkt an die rechtsextrem orientierten Eltern richteten. Daher lotete das Projekt die Möglichkeiten aus, gezielt mit diesen zu arbeiten. Auch wenn Distanzierungsprozesse vom Rechtsextremismus bei Familiengründung kein Automatismus sind, kann Elternschaft ein motivierender Faktor sein, sich aus rechtsextremen Szenen zu lösen. Die eigenen Kinder können als Eingangsmotivation fungieren. Zugleich sind Kinder und Jugendliche aus diesen Umfeldern selbst als rechtsextrem gefährdet zu betrachten. Daher verstand sich REXEL zugleich auch mittelbar als Projekt der sekundären Rechtsextremismusprävention für Kinder und Jugendliche.
Das Sonderprojekt wurde im Rahmen des Bundesprogramms „TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN“ gefördert und durch die Bundeszentrale für politische Bildung kofinanziert. Die Erfahrungen aus der Projektumsetzung bildeten die Basis für die zwei Folgeprojekte „KOMMENT – Kommunales Mentoring“ zur Arbeit in kommunalen Sozialräumen und „Präfix R“ zur Arbeit mit Eltern in Haft. Letzteres setzt das Violence Prevention Network in Kooperation mit dem ifgg – Institut für genderreflektierte Gewaltprävention gGmbH zusammen um.
Ablauf
Das Projekt hat bewusst mit einem sehr offenen und weit gefassten Begriff von rechtsextremer Orientierung gearbeitet. Darunter fällt gleichermaßen sowohl die Einstellungsebene als auch die Verhaltensebene. Während einige der Klient/-innen des Projektes sehr stark ideologisiert waren und durch rechtsextremes Verhalten und Straftaten auffielen, befanden sich andere eher in Vorfeldern des Rechtsextremismus. Hier waren starke gruppenbezogene Abwertungen oder Vorstellungen von Ungleichwertigkeit dominanter. Es wurden zudem nicht nur“„junge“ Eltern angesprochen, die sich in der Phase der Familiengründung befinden, sondern auch Eltern älterer Kinder im Jugendalter. Das Projekt fokussierte auf alle ostdeutschen Bundesländer inklusive Berlin, wobei lediglich in Thüringen kein Fall akquiriert werden konnte.
Den rechtsextrem orientierten Eltern wurde ein prozessorientiertes, systemisches Coaching angeboten. Dabei wurde in 12 bis 14 Sitzungen mit dem gearbeitet, was sie als Klient/-innen einbrachten. Zentrales Thema war die eigene Vision einer verantwortungsvollen Rolle als Mutter oder Vater. Doch auch Biographierarbeit, Lebens- und Beziehungsgestaltung oder Fragen nach der eigenen Weltanschauung in Bezug zur freiheitlichen Kindesentwicklung spielten eine Rolle. Eine wichtige Grundannahme war, dass Verhaltensänderungen nicht unmittelbar die Folge persönlicher Entscheidungen sind, sondern abhängig vom Kontext und das Ergebnis von Aushandlungen der Klient/-innen mit ihrer Umwelt und sich selbst.
Darüber hinaus wurden punktuelle Sensibilisierungsveranstaltungen bei Trägern vor Ort durchgeführt und längerfristige Fallberatungen angeboten. In 2014 wurde zudem eine 4-modulige Qualifizierungsreihe für pädagogische Fachkräfte umgesetzt. Diese richtete sich ebenfalls in erster Linie an auf kommunaler Ebene aktive Organisationen.
Für die Ansprache der rechtsextrem orientierten Eltern wurden mit Kommunen und Haftanstalten zwei unterschiedliche Zugangsorte gewählt. Es wurden über 200 verschieden kommunal agierende Organisationen wie Träger der Familien- und Jugendhilfe, Wohlfahrtsverbände, Hebammengemeinschaften oder Träger der Arbeitsmarktintegration angesprochen, um sie als Partner zu gewinnen. Allerdings konnte anders als geplant auf diesem Wege kein Coaching eines rechtsextrem orientierten Elternteils vermittelt werden.
Im Strafvollzug wurde zuerst die Anstaltsleitung kontaktiert, um anschließend sich in zwei unterschiedlichen Anschreiben sowohl an das Personal, als auch an die Insassen zu wenden und das Coachingangebot vorzustellen. Es wurde mit inhaftierte Vätern und Müttern gearbeitet, die selbst durch rechtsextreme Handlungen oder Einstellungen auffällig waren oder sich in entsprechenden Umfeldern bewegten. Die Häftlinge meldeten selbst Interesse an einer Teilnahme an oder sie wurden durch die Vollzugsbeamten zu einer Teilnahme animiert. Zu Beginn des Coachings fand eine Auswahl statt, in der mit den Klient/-innen geprüft wurde, ob die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Teilnahme gegeben waren. Im Zweifelsfall zum Beispiel wenn die Ernsthaftigkeit der Teilnahme fragwürdig war, konnten Klient/-innen auch abgelehnt werden. In Einzelfällen wurde davon Gebrauch gemacht.
Gelingensfaktoren
Obwohl die Coachings im Strafvollzug im Rahmen eines Zwangskontexts stattfanden, wurde für die Teilnahme am Coaching nicht auf Zwang gesetzt. Sie waren nicht Teil des Vollzugsplans und wurde ebensowenig im Rahmen der rechtlichen Eingriffsmöglichkeiten im Rahmen einer möglichen „Kindeswohlgefährdung“ angeordnet. Bei den Klient/-innen muss eingangs zumindest eine Sekundärmotivation vorhanden sein. Ziel war jedoch stets, diese im Rahmen des Coachingprozesses in eine Primärmotivation zu verwandeln.
Hierbei war die Beziehungsarbeit für den Vertrauensaufbau zwischen Coach/-in und Klient/-in grundlegend. Dafür wurde dem Ansatz der Verantwortungspädagogik® folgend auf eine respektvolle, demütigungsfreie und dialogische Kommunikation auf Augenhöhe wert gelegt. Ziel ist dabei das Verstehen der Situation der Klient/-innen, was nicht mit Verständnis gleichgesetzt werden darf. Das Coaching darf nicht für Überwachung oder Kontrolle missbraucht werden.
Grundlegend für den Erfolg eines Coachings war es, den Widerspruch zwischen den Zielen als Eltern und der Ebene der rechtsextremen Einstellungen und Verhaltensweisen herauszuarbeiten. Förderlich hierbei war, dass die Coaches selbst Eltern sind. So war ein anderer emotionaler Zugang zur Zielgruppe und ein gemeinsames Verstehen der Anforderungen und Wünsche möglich.
Lessons Learned
Die Ansprache der Zielgruppe und die Akquise von Projektpartner/-innen haben sich sehr zeitaufwendig gestaltet. Vor allem seitens der auf kommunaler Ebene tätigen Organisationen waren die Rückmeldungen anfangs sehr spärlich. Hier waren von vielen Seiten eine Konkurrenzangst und die Sorge, durch einen Träger aus Berlin verdrängt zu werden, spürbar. Es galt erst einmal, Vertrauen zu den Akteuren aufzubauen und sich als Projektpartner vorzustellen. Für diese Beziehungsarbeit auf Trägerebene war mehr Zeit nötig als eingangs vorgesehen. Kooperationen mit Justizvollzugsanstalten erwiesen sich hingegen als einfacher. Hier ist der Träger Violence Prevention Network bekannt und akzeptiert, was sich als Vorteil erwiesen hat.
Die Coachings waren mit 12 bis 14 Terminen teilweise etwas knapp kalkuliert. Da die Arbeit in wenigen Fällen stark an der Grenze zum therapeutischen Arbeiten stattfand, wäre es hilfreich gewesen, mehr Zeit und mehr Termine hierfür einzuplanen.