„Bildungsbausteine gegen Muslimfeindschaft“ für Jugendliche und PädagogInnen
Modellprojekt entwickelt Bildungsprogramme und -materialien gegen antimuslimischen Rassismus
Das Projekt entstand vor dem Hintergrund zunehmender rassistischer Muslimfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft, deren eklatante Virulenz in zahlreichen Studien festgestellt wurde und die sich im Erfolg von Pegida, der hohen Anzahl von Teilnehmenden an antimuslimischen Demonstrationen in verschiedenen deutschen Städten, bis hin zu vermehrten Gewaltakten gegen Moscheen und Menschen äußert. Insbesondere antimuslimische rassistische Einstellungen und Handlungspraxen bedrohen Menschen alltäglich und konterkarieren zudem Inklusions- und Integrationsbemühungen. Gleichzeitig führen sie die Dringlichkeit vor Augen, in der pädagogischen Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu diesem thematischen Schwerpunkt vermehrt präventiv und intervenierend tätig zu werden. An dieser Stelle setzt das Modellprojekt an: Wissenschaftlich fundiert werden Bildungsprogramme bzw. -materialien entwickelt, die in der pädagogischen Arbeit an Schulen und in Jugendhilfeeinrichtungen genannten Einstellungen entgegenwirken. Pädagog_innen sollen angesichts der aktuellen Lage unterstützt werden, in der Jugendhilfearbeit und an allgemeinbildenden Schulen professioneller zu agieren und gezielter und nachhaltig gegen Rassismus respektive antimuslimischen Rassismus tätig zu werden.
Ablauf
Zur Entwicklung einer adäquaten Bildungsmethodik und der erforderlichen Bildungsmaterialien wird themenbezogene Sozialforschung an Schulen und in Jugendhilfeeinrichtigungen betrieben. Das Untersuchungsdesign sieht die Anwendung qualitativer Methoden vor. Es werden leitfadengestützte Expert_inneninterviews mit Pädagog_innen und Lehrer_innen aus Jugendhilfe und Schule in Bezug auf Haltung, berufliche Praxis und Erfahrungen im Hinblick auf den thematischen Gegenstand der geplanten Bildungsprogramme durchgeführt. Des Weiteren sind Gruppendiskussionen mit Jugendlichen geplant. Die Forschungsergebnisse werden gemeinsam mit einschlägigen Expert_innen aus Wissenschaft und Bildungspraxis im Rahmen von Expert_innenworkshops diskutiert und eingeordnet. Auf der Grundlage der Forschungs- und Diskussionsergebnisse und unter Einbezug von Fachliteratur und bestehenden einschlägigen Bildungskonzepten werden Bildungsmethodik und -materialien entwickelt, die in einem weiteren Schritt unter wissenschaftlicher Begleitung mit verschiedenen Zielgruppen erprobt werden. Nach der Weiterentwicklung der Konzeption gemäß der in der Erprobungsphase erlangten weiteren Erkenntnisse werden die Bildungsmaterialien physisch in Print sowie digital veröffentlicht. Zur nachhaltigen Verankerung der Bildungsprogramme werden in Kooperation mit Bildungsträgern und Organisationen in verschiedenen Bundesländern Multiplikator_innenfortbildungen umgesetzt. Diese beruhen auf einer intersektionellen und insbesondere genderkritischen Perspektive.
Gelingensfaktoren
Angesichts der Komplexität des Phänomens AMR ist naheliegend, dass die Auseinandersetzung damit längere Zeit in Anspruch nimmt und prozessorientiert gestaltet sein muss. Dabei sollen die von uns entwickelten Materialien unterstützen. Wir möchten mit ihnen Entwicklungsräume schaffen und Impulse setzen, um dominante Sichtweisen zu hinterfragen. Wir wollen ermöglichen, alternative Bilder und Vorstellungen zu entwickeln, indem sich die TN mit Sichtweisen auseinandersetzen, die sonst in der Gesellschaft wenig präsent sind. Dabei kommt es darauf an, von Kindheit an Gelerntes und als Norm Verinnerlichtes zu reflektieren und zu erkennen, wie antimuslimischer Rassismus und andere Ungleichheitsideologien unser Wissen dominieren.
In den Methoden geht es weder darum, „den Islam“ zu erklären, noch um Rezepte für den Umgang mit AMR. Unser Fokus liegt auf einem machtkritischen Beitrag: AMR auf der persönlichen, auf der institutionellen und auf der gesellschaftlichen Ebene sichtbar zu machen. Dabei geht es uns selbstredend auch immer darum, Menschen zu stärken, neue Umgangsweisen mit AMR zu entwickeln und zu erproben – sowohl aus rassismuserfahrener als auch aus privilegierter Positionierung.
Bezugsrahmen für unsere Bildungsarbeit sind die Grund- und Menschenrechte, und zwar für alle Menschen überall. Diese werden nicht nur außerhalb Europas regelmäßig missachtet. Auch in Deutschland prägen Ideologien der Ungleichwertigkeit die Gesellschaft – Bildungsarbeit kann ein Baustein sein, um dem entgegenzuwirken. Wir gehen davon aus, dass pädagogische Arbeit politische Bewegungen nicht ersetzen kann, zielen jedoch ausdrücklich auf einen Abbau von Rassismus. Diese Arbeit schließt eine klare politische Positionierung ein zu Gunsten gleicher Rechte aller Menschen und für den Abbau von Machtasymmetrien und Diskriminierungen auf allen Ebenen.
Lessons Learned
In der Methodensammlung versuchen wir, Verschiedenes zu ermöglichen bzw. anzubieten: die Sensibilisierung von privilegierten TN ebenso wie die Sicht- und Hörbarmachung marginalisierter Erfahrungen sowie Räume für das Empowerment von Menschen mit Rassismuserfahrung.
In den Workshops kann ein Raum eröffnet werden, in dem Menschen miteinander reden können, ohne sich – wie oft im Alltag – rechtfertigen zu müssen. Unser Ziel ist ein gegenseitiger Austausch, der stärkt und auf dessen Grundlage gegenseitiges Verständnis ebenso entstehen kann wie Bündnisse.
Empowerment geht mit Power-Sharing einher. Unter Power-Sharing verstehen wir, dass privilegierte Menschen ihre Möglichkeiten nutzen, Räume für marginalisierte Gruppen zu schaffen, Ressourcen umzuverteilen, den Zugang zu Macht und Entscheidungen erleichtern – kurz: Machtverhältnisse in den eigenen Kontexten zu verändern. Die Bewusstwerdung eigener Privilegien und Ressourcen ist eine Voraussetzung von Power-Sharing. Das Kriterium ist: Wer hat letzten Endes die Kontrolle über Ressourcen und Entscheidungsmacht und über ihren Einsatz? Wird das Gegenüber wirklich als Subjekt mit eigener Handlungsmacht anerkannt?