Antislawismus/ Antislawischer Rassismus
Was ist das?
Antislawismus/ Antislawischer Rassismus ist eine Form von Rassismus, die sich gegen Menschen richtet, die aus (Mittel-)Osteuropa kommen oder dem zugeschrieben werden. Die, damit verbundenen, Vorurteile und Diskriminierungen basieren auf pauschalisierenden und abwertenden Zuschreibungen, die auf einer vermeintlichen Kulturlosigkeit beruhen 1(vgl. Tikhomirova o.J.).
Historische Entwicklung
Antislawischer Rassismus ist eine Diskriminierungsform, die in der deutschen Gesellschaft tief verankert ist. Erste Belege für Antislawismus gibt es bereits im frühen Mittelalter, so wurden im byzantinischen Reich 2(Das byzantinische Reich war ein großes und mächtiges Reich, das von der Stadt Konstantinopel aus regiert wurde und ungefähr von 330 n. Chr. bis ins 15. Jahrhundert existierte.) negative Zuschreibungen wie „Passivität, Brutalität oder Barbarei“ mit slawischen Völkern verbunden 3(vgl. CJD Hamburg 2023).
Vorgeschichte
Seit der europäischen Aufklärung (philosophische und politische Reformbewegung Ende des 17. Jahrhunderts) gab es in Westeuropa eine Abwertung des „Orients“ (Osten) als rückschrittlich und minderwertig gegenüber dem „Okzident“ (Westen) 4(vgl. Amaro Foro 2024). Als ideologische Rassenkategorie gibt es antislawisches Gedankengut, in Deutschland, schon seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts. So wurde von Theoretiker:innen und Politiker:innen das „Slawentum“ als rückständig dargestellt und somit als Gegenteil einer vermeintlich fortschrittlicheren deutschen Gesellschaft. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts verfestigen sich kulturalistische und rassistische Vorurteile gegenüber Slaw:innen, sodass es dadurch Vorurteile gegen die „slawische“ Kultur gab. Einerseits wurden diese als „minderwertig“ , „rückschrittlich“ oder als nicht vorhanden beschrieben. Andererseits wurde eine biologische „Rasse“ der „Slawen“ definiert, welche bestimmte, biologische (negative) Eigenschaften besäße. Viele damalige Intellektuelle teilten antislawisches Gedankengut. So bezeichnete Hegel „Die Slawen“ als „kultur- und geschichtslos“ 5(CJD Hamburg 2023) und Friedrich Engels betrachtete sie als „Völkerabfall“ 6(Tikhomirova o.J.). Insgesamt sind die verschiedenen Rassenlehren zutiefst menschenfeindlich und haben keine wissenschaftliche Grundlage, dementsprechend sind sie heute längst widerlegt 7(vgl. CJD Hamburg 2023).
Deutsches Kaiserreich
Im deutschen Kaiserreich (1871 bis 1918) wurde die deutsche Politik gegenüber des östlichen Mitteleuropa rassistischer und radikaler. Höhepunkte dieser Entwicklung sind die germanisierende Siedlungspolitik 8(Die germanisierende Siedlungspolitik sind Maßnahmen, die darauf abzielten, deutsche Siedler:innen in polnischen Gebieten anzusiedeln, um die deutsche Kultur und Sprache zu verbreiten und die dortige Bevölkerung zu beeinflussen oder zu verdrängen.) in den polnischen Teilungsgebieten Preußens und das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 9(vgl. Petersen 2022). Damit sollte insbesondere eine unerwünschte Zuwanderung aus osteuropäischen Ländern und die Einbürgerung der Menschen verhindert werden. Das eroberte Land im Ersten Weltkrieg wurde „Ober Ost“ genannt und ist Ausdruck des zunehmend kolonialen Verhältnisses 10(Ein koloniales Verhältnis beschreibt die Beziehung zwischen einer Kolonialmacht und den von ihr kolonisierten Gebieten oder Völkern. In diesem Verhältnis hat die Kolonialmacht oft politische, wirtschaftliche und kulturelle Kontrolle über die Kolonien, während die einheimische Bevölkerung häufig unterdrückt wird und ihre Ressourcen ausgebeutet werden.) von Deutschland zum Osten 11(vgl. CJD Hamburg 2023).
Nationalsozialismus
Im Nationalsozialismus verschärfte sich Antislawischer Rassismus in nie dagewesener Form. So wurde die pseudowissenschaftliche „Rassenlehre“ genutzt, um Menschen in verschiedene Kategorien einzuordnen. Diese stellen Osteuropäer:innen als „slawische[n] Untermenschen“ dar 12(vgl. CJD Hamburg 2023). Daran anschließend sah Adolf Hitler Slaw:innen als nicht lebenswürdig an und forderte ihre Ausbeutung und Vernichtung. Der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion begann am 22. Juni 1941 und war Teil des „Generalplan Ost“. Das erklärte Ziel war die Vernichtung der Juden und die Eroberung von „Lebensraum“ im Osten, durch Vertreibung, Versklavung oder Ermordung der dort lebenden Bevölkerung. Ein erschreckendes Beispiel ist die Blockade Leningrads, bei der über eine Million Menschen verhungerten und erfroren. Auch in der Behandlung der Millionen „Ostarbeiter“ zeigt sich diese Ideologie, so mussten sie im Deutschen Reich unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit leisten 13 (vgl. Kraft 2023).
Häufig vermischten sich die Vorurteile etwa mit antisemitischen Feindbildern von „Jüdischen Bolschewisten“ und „Ostjuden“ oder antiziganistischen Ressentiments gegen Sint:izze und Rom:nja. Insgesamt sind während der NS-Zeit und im Zweiten Weltkrieg Millionen Menschen in Osteuropa ermordet, verschleppt oder ausgebeutet worden. Die Sterberate sowjetischer Kriegsgefangener in deutscher Kriegsgefangenschaft lag bei über 57 % 14(vgl. Kraft 2023).
Nach 1945 ist der Antislawische Rassismus kaum aufgearbeitet worden. Menschen mit Migrationsgeschichte aus der ehemaligen Sowjetunion und anderen osteuropäischen Ländern sehen sich noch heute mit Vorurteilen und Diskriminierungen konfrontiert 15(vgl. ebd.).
Antislawismus/ Antislawischer Rassismus heute
Antislawischer Rassismus erschafft eine vermeintliche Gruppe der „Slaw:innen“ oder „Osteuropäer:innen“ und schreibt ihnen negative Merkmale zu. So gibt es heute noch viele Vorurteile gegenüber (vermeintlichen) „Slaw:innen“ oder „Osteuropäer:innen“. Diese Zuschreibungen finden ihre Wurzeln in der beschriebenen Geschichte und wiederholen diese alten Stereotype. Dementsprechend basiert das negative Bild von „Osteuropa“ in der Gegenüberstellung des „Wir – der gute Westen“ und der „Anderen – der böse Osten“. Dabei dienen diese Zuschreibungen, dem Ausschluss dieser Gruppen von gesellschaftlichen Ressourcen. Dies führt auch dazu, dass gesellschaftliche Machtstrukturen aufrechterhalten werden 16 (CJD Hamburg 2023).
Formen
Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion und anderen osteuropäischen Ländern erleben noch heute Vorurteile und Diskriminierungen. Diese reichen etwa von rassistischen Witzen, Benachteiligung, offener bis hin zu Ausbeutung. Beispielsweise sind Arbeitssuchende aus der EU-Osterweiterung oft in prekäre und ungeschützte Arbeitsverhältnisse gedrängt. Viele Betroffene werden somit zusätzlich im Arbeitskontext benachteiligt, sie arbeiten als günstige Arbeitskräfte auf Spargel- oder Erdbeerfeldern, in der 24-Stunden-Pflege, in Altenheimen oder in der Prostitution 17(vgl. Kraft 2023). Dort erfahren sie häufig mangelnden Arbeitsschutz und schlechte Arbeitsbedingungen. Gesamtgesellschaftlich erfahren Betroffene von antislawischen Rassismus häufig Vorurteile und haben Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche oder der Jobsuche.
Antislawischer Rassismus gipfelt in rassistischer Gewalt, so gab es seit der Wiedervereinigung 1990 mehrere Opfer rechtsextremer und rassistische Morde 18 (vgl. Pürckhauer 2023). Beispielsweise ist hier der Anschlag am S-Bahnhof Düsseldorf Wehrhahn am 27. Juli 2000 zu nennen, der antislawische und antisemitische Hintergründe hat. Hierbei wurden zehn Menschen schwer verletzt, darunter sechs Jüdinnen:Juden und eine schwangere Frau verlor ihr ungeborenes Kind 19 (vgl. Pürckhauer 2023).
Seit dem russischen Angriffskrieg sind Ukrainer:innen besonders gefährdet, so wird Gewalt gegen sie durch russische Propaganda gefördert und zusätzlich erfahren sie Ablehnung in der deutschen Bevölkerung. Als Folge dessen häufen sich rassistische Vorfälle gegen Ukrainer:innen, darunter Brandanschläge sowie verbale und physische Angriffe 20 (vgl. Kraft 2023). Doch auch russischsprachige Menschen und (vermeintliche) Russ:innen erfuhren seitdem verstärkt Diskriminierungen, indem sie kollektiv für den Krieg in der Ukraine verantwortlich gemacht wurden 21 (vgl. Pürckhauer 2023).
Institutionell – Strukturell
Antislawismus ist tief in der Gesellschaft verankert und zeigt sich auf individueller, kultureller und institutioneller Ebene. Individuelle Diskriminierung umfasst das Sprechen und Handeln gegen Menschen osteuropäischer Herkunft, etwa durch Übergriffe oder feindliche Haltungen im Alltag. Kulturelle Diskriminierung zeigt sich in stereotypisierten Darstellungen in Medien, wie Filmen, Werbung und Literatur 22 (vgl. CJD Hamburg 2023). Institutionelle Diskriminierung zeigt sich wiederum in Gesetzen, Institutionen und Entscheidungsstrukturen, all diese verschiedenen Ebenen greifen ineinander und überschneiden sich 23 (vgl. CJD Hamburg 2023).
Intersektionen
Die Auseinandersetzung mit den Verschränkungen des Antislawismus mit anderen Diskriminierungsformen ist wichtig, um die spezifischen Erfahrungen von Menschen zu berücksichtigen, die verschiedene Identitäten in sich vereinen. Das Konzept der Intersektionalität nach Crenshaw ermöglicht es, Diskriminierung aus einer Mehrperspektivität zu analysieren 24(vgl. Crenshaw 1989). Bisher sind die intersektionalen Verflechtungen von Antislawismus mit anderen Diskriminierungsformen kaum erforscht.
Ein Beispiel für intersektionale Diskriminierung ist Sexismus gegen osteuropäische Frauen* (alltäglich und weitverbreitet in der Popkultur), etwa durch sexistische Klischees oder verstärkte Objektifizierung und Erotisierung. Somit erfahren Frauen* nicht lediglich Sexismus und Antislawismus, sie erleben Diskriminierungserfahrungen, die darüber hinaus gehen 25(vgl. Kraft 2023). Ein weiteres Beispiel ist die antislawische Diskriminierung von (post)migrantischen Jüdinnen:Juden, die teilweise als Kontingentflüchtlinge nach Europa kamen und einen bedeutenden Beitrag zur jüdischen Kultur in Deutschland tragen. So kann der beschriebene Wehrhahn-Anschlag 2001 ebenfalls aus einer Verschränkung dieser Diskriminierungen verstanden werden. Die Beispiele für Intersektionen sind zahlreich und nicht abschließend zu behandeln, darum ist es wichtig sich mit diesen Perspektiven zu befassen.
Was kann ich gegen Antislawischen Rassismus tun?
Bündnisarbeit und sich mit anderen Betroffenen oder Verbündeten zu vernetzen sind wichtige Mittel zur Bekämpfung von Antislawismus. Dies zeigt sich besonders an der „Post-Ost-Bewegung“. Hier kommen Menschen, die oder deren Vorfahren aus Osteuropa oder dem Balkan stammen, zusammen und unterstützen sich in ihren Erfahrungen und machen auf Antislawismus aufmerksam 26(vgl. Pürckhauer 2023). Diese Community besteht aus verschiedenen Zusammenschlüssen, Projekten und Formaten. Wie beispielsweise Podcasts, Workshops, journalistische und wissenschaftliche Artikel. Das Ziel ist die Sichtbarkeit und Sensibilisierung zum Themenfeld. All diese Aktivitäten schaffen Aufmerksamkeit und fördern Aufklärung gegen Antislawismus 27(vgl. CJD Hamburg). Es ist wichtig sich mit der Betroffenen Perspektive auseinanderzusetzen und ebenfalls darüber zu reden um dadurch die das Thema sichtbar zu machen 28(vgl. Kraft 2023). Zudem braucht es eine Aufarbeitung und Anerkennung der umfangreichen Geschichte, hierfür ist eine Thematisierung ebenfalls sehr wichtig. Darüber hinaus ist es notwendig die Diskriminierung anzusprechen, wenn sie einem im Alltag begegnen um eine Veränderung zu bewirken und ein gerechtes Umfeld zu schaffen.
Zum Weiterlesen
- Tikhomirova, Anastasia(o.J.): Antislawismus. Hrsg: Mobile Beratung Niedersachsen gegen Rechtsextremismus für Demokratie. URL: https://www.vielfalt-mediathek.de/material/rassismus/antislawismus
- CJD Hamburg (2023): Und plötzlich war da Krieg? Kontext und Auswirkungen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. URL: https://www.vielfalt-mediathek.de/material/zusammenleben-in-der-migrationsgesellschaft/und-ploetzlich-war-da-krieg
- Kraft, D. und Barbara Oertel (2023): Baustein 13. Osteuropa – Impulse für die Bildungsarbeit. Berlin. URL: https://www.vielfalt-mediathek.de/material/rassismus/baustein-13-osteuropa
Quellen
Amaro Foro (2024): Glossar: Antislawischer Rassismus. URL: https://amaroforo.de/presse/glossar/ (letzter Zugriff: 01.12.2024)
Belkin, Dmitrij (2017): Jüdische Kontingentflüchtlinge und Russlanddeutsche. bpb. URL: https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/252561/juedische-kontingentfluechtlinge-und-russlanddeutsche/ (letzter Zugriff: 10.12.2024)
CJD Hamburg (2023): Und plötzlich war da Krieg? Kontext und Auswirkungen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Hamburg. URL: https://www.vielfalt-mediathek.de/material/zusammenleben-in-der-migrationsgesellschaft/und-ploetzlich-war-da-krieg (letzter Zugriff: 10.12.2024)
Kraft, D. und Barbara Oertel (2023): Baustein 13. Osteuropa – Impulse für die Bildungsarbeit. Berlin. URL: https://www.vielfalt-mediathek.de/material/rassismus/baustein-13-osteuropa (letzter Zugriff: 09.12.2024)
Tikhomirova, Anastasia(o.J.): Antislawismus. Hrsg: Mobile Beratung Niedersachsen gegen Rechtsextremismus für Demokratie. URL: https://www.vielfalt-mediathek.de/material/rassismus/antislawismus (letzter Zugriff: 11.12.2024)
Petersen, Hans- Christian und Jannis Panagiotidis (2022): Geschichte und Gegenwart des antiosteuropäischen Rassismus und Antislawismus. bpb. URL: https://www.bpb.de/themen/migration-integration/regionalprofile/509853/geschichte-und-gegenwart-des-antiosteuropaeischen-rassismus-und-antislawismus/ (letzter Zugriff: 12.12. 2024)
Pürckhauer, Andrea (2023): Antislawischer und antiosteuropäischer Rassismus. Mediendienst Integration. URL: https://mediendienst-integration.de/artikel/antislawischer-und-antiosteuropaeischer-rassismus.html (letzter Zugriff: 10.12.2024)