Aussteigen, Umsteigen, Einsteigen.
Gesprächsnotizen zu den Chancen von Jugendarbeit mit Jugendlichen aus rechtsradikalen Cliquen
Das Interview wurde durch einen Sozialarbeiter geführt, der den Jugendlichen bereits gut kannte. Dem Interview ging somit eine langjährige, sozialarbeiterische Beziehungsarbeit voraus. Zugleich brachte der Interviewer somit viele Detailkenntnisse aus der Entwicklung des Jugendlichen in die Interviewsituation mit. Neben den Einblicken in Ein- und Ausstiegsprozesse ist das Interview zugleich ein Erfahrungsbericht aus der sozialen Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen. Dabei wird reflektiert, welche Ansätze mehr oder weniger erfolgversprechend sind. Es wird deutlich, dass die oftmals diskreditierte Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen auch diese Zielgruppe in der persönlichen Entwicklung fördern kann.
Inhalt
Das biografisch-narrative Interview wird unkommentiert wiedergegeben. Es orientiert sich größtenteils am chronologisch-biografischen Lebensweg des Jugendlichen vom Szeneeinstieg über die Phase der stabilen Szenezugehörigkeit zum -ausstieg. Dabei ziehen sich bestimmte Themen wie Erfahrungen mit Jugendarbeit, Einstellung und Erleben von Gewalt oder die geringe Bedeutung von Ideologie wie ein roter Faden durch den Text.
Der Wechsel zwischen verschiedenen Szenezusammenhängen ist ein wiederkehrendes Thema. So fühlt sich der Jugendliche anfangs jugendkulturell eher der Punkerszene dazugehörig. Zugleich ist sein Alltag von teilweise gewaltsamen Konflikten mit russlanddeutschen Jugendlichen geprägt. Als wichtiges persönliches Ziel formuliert er, respektiert und anerkannt zu werden. Daher ist er von der Stärke und dem Selbstbewusstsein beeindruckt, wie es rechtsextreme Skinhead-Cliquen ausstrahlen. Dabei spielen vor allem Klamotten, Symbole und Codes eine zentrale Rolle. Sie stellen Zusammengehörigkeit und vermeintliche Kameradschaft her, während die Ideologie eher nachranging ist. Zugleich reflektiert der Interviewte aber auch die Bedeutung des Konformitätsdrucks innerhalb der Szene.
Ein weiteres Thema, das an verschiedenen Stellen des Textes zu Sprache kommt, sind Erfahrungen mit Gewalt und mit gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Jugendcliquen. Das Interview bietet aber auch Einblicke in Widersprüchlichkeiten innerhalb rechtsextremer Szenezusammenhänge. So beschreibt der Jugendliche die teilweise als hilflos erlebten Anwerbeversuche durch die NPD. Trotz beispielsweise der eigenen Teilnahme an Demonstrationen der Partei, ist der jugendkulturelle Alltag der rechtsextremen Skinheads auch von bewussten Provokationen gegenüber der NPD und teilweise gewaltsamen Konflikten mit Parteivertretern geprägt. Spätestens hier wird deutlich, dass es eine rechtsextreme Szene im Singular nicht gibt, sondern von verschiedenen rechtsextremen Szenen zu sprechen ist.
In dem Text werden Erfahrungen deutlich, die der Jugendlichen mit Jugendarbeit gemacht hat. Es wird gemeinsam reflektiert, wie die verschiedenen Typen von Sozialarbeiter/-innen sowie die verschiedenen Ansätze der Jugendarbeit auf ihn gewirkt haben. Dabei wird deutlich, dass der Jugendliche in erster Linie Authentizität erwartet. Auch wird reflektiert, was es für den Jugendlichen bedeutet, wenn Sozialarbeiter/-innen ihm Verantwortung zutrauen. Ebenso werden Erfahrungen mit der Polizei und hierbei mit der Operativen Gruppe Jugendgewalt (OGJ) sowie mit Strafverfolgung und Justiz geschildert.
An verschiedenen Stellen wird betont, welch geringe Bedeutung die rechtsextreme Ideologie für den Jugendlichen hatte. Dementsprechend beeindrucken ihn weniger politische, sondern vielmehr moralische Argumente. So sind Beobachtungen zu Widersprüchlichkeiten in der Haltung anderer rechtsextrem orientierter Jugendlicher ein wichtiges Moment für die Loslösung von der Szene. Zudem hat ein Täter-Opfer-Ausgleich eine wichtige Bedeutung, ebenso wie teilweise ambivalente Erfahrungen mit internationalen Jugendbegegnungen und Auslandsfahrten. Auch die Frage der politischen Einstellung des Jugendlichen nach der Distanzierung wird diskutiert.
Der Text reflektiert aber auch die Schwierigkeiten beim Ausstieg aus rechtsextremen Szenezusammenhängen. Dazu gehört auch die Diskussion, ob es zwingend notwendig ist, mit dem alten sozialen Umfeld zu brechen. Die These hierzu lautet, dass die Rolle des Aussteigers in seinem jeweiligen rechtsextremen Szenezusammenhang einen entscheidenden Unterschied für den Verlauf des Ausstieges macht. Auch das familiäre Umfeld spielt in den Überlegungen zum Ausstieg eine wichtige Rolle.
Thomas Schleußner kritisiert in seinem Nachwort das ausgrenzende und kriminalisierende Verhalten von Erwachsenen, das Jugendliche oft erst in rechtsextreme Szenezusammenhänge treibt. Er will zeigen, wie man als Sozialarbeiter mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen arbeiten kann. Wichtig sei es, junge Menschen als Suchende in ihrer Sozialisation zu betrachten, die sich auf Irrwege begeben haben, wo sie Hilfe brauchen. In der Konsequenz bedeutet das, die Jugendlichen nicht aus der Verantwortung zu entlassen aber zugleich zu hinterfragen, warum sie in rechtsextreme Szenezusammenhänge geraten sind. Wichtig sei zu reflektieren, was pädagogische Arbeit leisten kann und wo sie nicht funktioniert. Als wichtige Grundlagen dafür formuliert er folgende Anforderungen:
Wichtig sei es, auch den rechtsextrem orientierten Jugendlichen Räume für die eigene Entwicklung anzubieten, ihre Lebenswelt zu respektieren und sie als Experten für die eigene Sache anzuerkennen.
Verwendung als Impuls- / Begleitmaterial
Das Interview bietet viele Anregungen für Praktiker/-innen der Sozialen Arbeit, ihre eigene Arbeit mit Jugendlichen zu reflektieren und zu evaluieren. Zudem können Ausschnitte des Interviews für die Bildungsarbeit mit Jugendlichen genutzt werden.