Bildungsmultiplikatoren gegen rechts
Das Modellprojekt „Bildungsmultiplikatoren gegen rechts“ führte Camino gGmbH im Rahmen des Bundesprogramms „VIELFALT TUT GUT.“ durch. In vielen Regionen erschweren Desintegrationsprozesse Kindern und Jugendlichen aus bildungsfernen Familien den Zugang zu Kultur- und Bildungseinrichtungen und verhindern, dass junge Menschen an den Angeboten der formalen Bildung partizipieren. In der Folge wachsen insbesondere im ländlichen Raum in den Gemeinwesen oftmals keine demokratischen Akteure mehr nach. Faktoren wie die Abwanderung höher Qualifizierter begünstigen die Entstehung meist männlich dominierter, bildungsbenachteiligter Jugendmilieus mit tendenziell demokratiefeindlichen Strukturen, die grundsätzlich als rechtsextremistisch gefährdet gelten können. Um ein Abgleiten der Jugendlichen in solche Milieus zu verhindern, bedarf es neuer Konzepte, da die althergebrachten Institutionen demokratischer Kultur, wie beispielsweise Vereine und Bildungseinrichtungen gerade in strukturschwachen Regionen vielfach ihre Brückenfunktion verloren haben. Solche neuen Konzepte müssen im Gegensatz zur formalen Bildung an der Lebenswelt der Jugendlichen ansetzen, auf deren Eigeninitiative und Mitwirkung beruhen und dadurch Demokratie im Alltag erfahrbar machen. Hier setzte das Projekt an, indem es die Jugendlichen in die sozialen Netze einband und ihnen dadurch nicht nur Ressourcen für die eigene Lebensgestaltung erschloss, sondern ihnen zugleich ermöglichte, demokratische Verhaltensweisen konkret einzuüben und weiterzutragen.
Ablauf
Im Rahmen des Projektes wurden Jugendliche zu Bildungsmultiplikator/-innen qualifiziert. Die Qualifizierungsseminare wurden immer in Kooperation mit den lokal tätigen Jugendarbeitern oder Schulsozialarbeitern durchgeführt. Die Qualifizierung erfolgte nur teilweise durch „klassische“ Seminare, sondern überwiegend in Form von innovativen Formaten wie Stadt- und Regionenspielen oder Planspielen. Dies bot zugleich den Vorteil, dass die teilnehmenden Jugendlichen Methoden an die Hand bekamen, die sie abwandeln und mit anderen Jugendlichen eigenständig durchführen konnten. Die Qualifizierung wurde an 8 -12 Bildungswochenenden pro Jahr durchgeführt und umfasste Seminare zu folgenden Themen:
Alle Seminare vermittelten Wissen über das jeweilige Thema und zugleich Vermittlungskompetenzen. Parallel zu den ersten Qualifizierungsseminaren entwickelten die angehenden Bildungsmultiplikator/-innen bereits erste Projekte, damit die Ausbildung stets praxisnah erfolgen und ggf. flexibel auf neue Bedarfe und Anforderungen reagieren konnte. Die Bildungsmultiplikator/-innen wurden durch die Qualifizierung in die Lage versetzt, eigenständig Projekte vor Ort durchzuführen, die sich an rechtsextremistisch gefährdete, benachteiligte Jugendliche richteten. Bei der Planung und Organisation dieser Projekte, die sich mit den Grundlagen und Grundwerten unserer Gesellschaft beschäftigten und die Zielgruppe dazu ermutigten, sich aktiv mit der eigenen Lebenswelt auseinanderzusetzen, wurden die Bildungsmultiplikator/-innen stetig begleitet und unterstützt.
Gelingensfaktoren
Die Ausbildung sollte auf eine breite Qualifizierung abzielen, damit die Bildungsmultiplikator/-innen möglichst weiten thematischen Spielraum bei der Umsetzung ihrer eigenen Peer-Projekte hatten. Außerdem sollte die Ausbildung praxisnah erfolgen, damit anlaufende Projekte begleitet werden und neu auftretende Bedarfe in die Qualifizierung einfließen konnten. Hierfür – und für die Gewinnung der Jugendlichen für das Projekt – erwies sich als ein wichtiger Faktor, dass das Curriculum für die Qualifizierung lebensweltlich orientiert war, auf jugendgemäße Formate setzte und flexibel genug angelegt war, um auf die Bedürfnisse und Interessen der Jugendlichen einzugehen und die konkrete Ausgestaltung der Module gemeinsam mit ihnen zu entwickeln. Dies erfolgte beispielsweise im Rahmen von Auftaktveranstaltungen, bei denen möglichst viele junge Menschen angesprochen wurden, sich am Aufbau von Vielfalt und Demokratie in ihrer Region zu engagieren. So konnten die Anliegen der Jugendlichen vor Ort zusammengetragen und öffentlich gemacht werden. Der Peer-Ansatz war wiederum ein wichtiger Faktor, um das Ziel der Einbindung rechtsextremistisch gefährdeter Jugendlicher zu erreichen. Die Bildungsmultiplikato/-innen haben im Vergleich zur klassischen Sozialarbeit andere Zugänge zu diesen Jugendlichen, da sie als Peers deren Lebenswelten kennen und anerkennen, und da sie aufgrund der ähnlichen Sozialisationsstrukturen mit den Handlungsorientierungen und Verhaltensmustern der Jugendlichen vertraut sind. Somit waren sie in der Lage, Bildungsangebote für diese Zielgruppe attraktiv zu gestalten und in deren Freizeitgestaltungsorte zu integrieren. Für die Verankerung vor Ort war zudem ein wichtiger Faktor, dass das Projekt in enger Kooperation mit der örtlichen Jugend- und Sozialarbeit durchgeführt wurde. Durch die enge Einbindung der vor Ort tätigen Praktiker konnte eine gute Anbindung und Begleitung der von den Jugendlichen eigenständig durchgeführten Projekte gewährleistet werden.
Lessons Learned
Die Projekte sind von einer Fluktuation von Jugendlichen betroffen, deren Lebensumstände einer kontinuierlichen Beteiligung an einem Projekt ggf. entgegenstehen. Dies stellte eine Herausforderung dar, da gerade für die Durchführung weiterer Projekte vor Ort eine feste Gruppe wichtig war, die Verantwortung übernahm und über einen gewissen Zeitraum verbindlich zusammenarbeitete. Im Rahmen des Projektes wurde von daher großer Wert auf eine regelmäßige und intensive Begleitung und Beratung der Bildungsmultiplikator/-innen gelegt, die den Zusammenhalt und die Zusammenarbeit der Gruppe förderte. Ein weitere Herausforderung bestand darin, dass das weite Themenspektrum der Qualifizierung – das einerseits erforderlich ist, damit die Bildungsmultiplikator/-innen über einen weiten Spielraum bei der Umsetzung ihrer Projekte verfügen –, andererseits dazu (ver-)führen kann, das Ziel des Gesamtprojektes, Demokratie erfahrbar zu machen, aus den Augen zu verlieren und sich zu stark auf die Bereiche zu konzentrieren, die den eigenen Interessen am nächsten stehen. Auch hier erwies sich die enge Begleitung der Bildungsmultiplikator/-innen als bedeutsam, um in solchen Fällen den Bezug der von den Jugendlichen initiierten Aktivitäten zum Leitziel einzufordern.