Gedenkstättenpädagogik und Zeitzeugengespräche in der Arbeit mit rechtsextrem orientierten und gewaltaffinen Jugendlichen
Im Rahmen der zweiwöchigen Kurse des TTB werden ein Projekttag mit dem Besuch der Gedenkstätte Buchenwald sowie ein Zeitzeugengespräch durchgeführt. Das TTB richtet sich an rechtsextreme, rechtsextrem orientierte und gefährdete Jugendliche mit Gewaltneigung im Jugendarrest. Es zielt zum einen auf die Erhöhung der Aggressionsschwellen und auf eine Reflexion des eigenen Gewalthandelns. Zugleich hat das Programm historisch-politische Bildung zum Gegenstand. Dahinter steht die Erfahrung, dass in der Anti-Gewalt-Arbeit mit rechtsextrem orientierten, gewalttätigen Jugendlichen im Jugendarrest und Jugendstrafvollzug ein Fokus auf Gewaltprävention nicht ausreicht, sondern zugleich Bildungsimpulse gesetzt werden müsse. Neben der Aufbereitung der Gewaltproblematik gilt es, die dahinterliegende, als Rechtfertigung herangezogene Ideologie zu bearbeiten. Besonders im Wissen über den Nationalsozialismus herrscht bei den Jugendlichen zumeist Unwissen oder es dominiert ein von Mythen und Verharmlosungen geprägtes Bild. Hier setzt der Ansatz der Gedenkstättenpädagogik sowie der Zeitzeugengespräche mit rechtsextrem orientierten und gewaltaffinen Jugendlichen an. Die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus bedeutet zugleich auch eine Auseinandersetzung mit Gewalt und Vorstellungen von Ungleichwertigkeit.
_(Ablauf)_
Der Besuch der Gedenkstätte Buchenwald sowie das anschließende Zeitzeugengespräch werden im Rahmen des Thüringer Trainings- und Bildungsprogramm ausführlich vor- und nachbereitet. Den Jugendlichen wird daher vorab grundlegendes Wissen über das Funktionieren des Nationalsozialismus und insbesondere über die systematische Vernichtung von Menschenleben im Holocaust vermittelt. So soll erreicht werden, dass die Jugendlichen beim Besuch der Gedenkstätte an zuvor Erarbeitetes anschließen können und nicht vor Ort das erste Mal mit dem Thema in Berührung kommen. Dazu werden für diese Zielgruppe vereinfachte Arbeitsblätter der Gedenkstätte genutzt. Neben der Wissensvermittlung nimmt die Klärung von Verhaltensregeln einen zentralen Stellenwert ein. Diese werden jedoch nicht gemeinsam ausgehandelt, sondern den Jugendlichen als gegeben gesetzt. So wird verhindert, dass diese in Frage gestellt werden können.
Der Besuch der Gedenkstätte Buchenwald findet am achten Tag des Trainings statt. Dabei wird auf verschiedene Methoden und Lernformen wie Führung, Film, Arbeit mit Fundstücken oder individuelle Ausstellungsbeobachtung zurückgegriffen und diese für die jeweilige Gruppe angepasst. Die Teilnehmer bearbeiten verschiedene Themen ihrer Wahl, z. B. „Kinder und Jugendliche im Konzentrationslager“. Sie bereiten eine Kurzpräsentation zu dem in der Gedenkstätte Erlebten vor und präsentieren diese am Folgetag.
Der Tag nach dem Besuch wird zur Reflexion genutzt. Gemeinsam mit den Jugendlichen lassen die Trainer/-innen den Tag Revue passieren. In der Nachbereitung findet auch eine Lesung eines Zeitzeugen statt, der die Geschichte seiner eigenen jüdischen Familie im Holocaust erzählt. Das anderthalb bis zweistündige Gespräch beginnt mit einem kurzen Vortrag des Zeitzeugen. Die Trainer/-innen stellen Fragen und animieren die Jugendlichen, selbst mit Fragen ins Gespräch einzusteigen.
_(Gelingensfaktoren)_
Damit Gedenkstättenpädagogik mit rechtsextrem orientierten und gewaltaffinen Jugendlichen überhaupt funktionieren kann, ist eine zentrale Voraussetzung, dass diese nur ein Teil eines größeren Trainings sind. Die Jugendlichen dürfen nicht unvorbereitet und isoliert mit dem Thema konfrontiert werden, sondern zuvor muss bereits an den rechtsextremen Weltanschauungen bzw. Einstellungen der Jugendlichen gearbeitet worden sein. Es muss bereits ein erster Keim der Verunsicherung gelegt worden sein. Zudem ist es förderlich, die konkreten Interessen der Jugendlichen zu kennen, um die Führung auf dem Gelände danach anpassen zu können. Erst aufgrund dieser Vorbedingungen werden die Jugendlichen empfänglich und offen für die Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Zugleich darf diese Auseinandersetzung nicht mit dem Verlassen des Geländes abbrechen, sondern sie muss nachbearbeitet werden.
Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust muss unbedingt an das Bildungsniveau der Jugendlichen angepasst werden und auf die Defizite der Jugendlichen wie bspw. eine Lese- oder Konzentrationsschwäche muss unbedingt Rücksicht genommen werden. Die Jugendlichen dürfen sich nicht überfordert fühlen. Daher sind die Arbeitsblätter zur Vorbereitung des Gedenkstättenbesuchs bereits vereinfacht. Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust soll von den Jugendlichen als positives Lernerlebnis memoriert werden.
Durch das Einbetten des Gedenkstättenbesuches in ein Trainingsprogramm wird erreicht, dass die Jugendlichen zu dem Zeitpunkt des Besuches bereits Vertrauen zu dem Trainer aufgebaut haben und die Gruppe zusammengefunden hat. Die Jugendlichen haben im Verlauf des Trainings gelernt, sich an Regeln zu halten. Erst so ist überhaupt denkbar, mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen eine Gedenkstätte des Holocaust zu besuchen oder an einem Zeitzeugengespräch teilzunehmen.
Auch wenn das Trainingsprogramm in einem Zwangskontext stattfindet, ist die Teilnahme am Gedenkstättenbesuch freiwillig. Es ist wichtig, auf die Jugendlichen keinen Druck auszuüben und transparent zu machen, dass keine negativen Konsequenzen bei Nichtteilnahme drohen. Zwang könnte ansonsten negative Gruppendynamiken auslösen.
Auf Seiten der Kooperationspartner ist eine klare Rollenklärung zwischen Trainern des TTB, Bediensteten des Jugendarrests, die den Besuch begleiten, sowie dem pädagogischen Personal der Gedenkstätte unabdingbar. Eine vertrauensvolle und offene Kooperation zwischen den Trainern und der Gedenkstätte ist grundlegend. Seitens des Gedenkstättenpersonals muss eine Bereitschaft vorhanden sein, sich überhaupt auf die Klientel einzulassen. Zugleich ist es wichtig, dass die Trainer sowie das Anstaltspersonal das Einhalten von Verhaltensregeln wie das Verbot rechtsextremer Kleidung konsequent überwachen und sanktionieren.
_(Lessons Learned)_
Ein einmaliger Besuch eines ehemaligen Konzentrationslagers darf nicht als „Erweckungserlebnis“ für rechtsextrem orientierte und gewaltaffine Jugendliche inszeniert werden. Die Erwartungshaltung, die Jugendlichen seien nach dem Besuch grundsätzlich andere oder von ihrer rechtsextremen Einstellung „geheilt“, ist kontraproduktiv. Es hat sich jedoch bewährt, den Gedenkstättenbesuch als freiwilliges Element des Trainings anzubieten.
Im Zuge des Trainings wurden verschiedene Zugangswege zur Gedenkstätte von Schloss Ettersburg, vom Mahnmal oder über den Gedenkweg entlang der alten Bahnstrecke ausprobiert. Die gemeinsame pädagogische Bedeutung der Zugangswege liegt – neben unterschiedlichen organisatorischen Gesichtspunkten – darin, den Jugendlichen bewusst eine allmähliche Annäherung ans ehemalige Lager zu ermöglichen, damit möglicherweise vorhandene Berührungsängste schrittweise abgebaut werden können.
Zur Vertrauensbildung mit dem Personal der Gedenkstätte wurden die Gedenkstättenbesuche anfangs in einer Eins-zu-eins-Betreuung der Jugendlichen durchgeführt. Der Betreuungsschlüssel konnte mittlerweile gelockert werden. Durch eine gute Vorbereitung und eine enge inhaltliche Begleitung der Gruppe wird die Gefahr, dass es an diesem historisch sensiblen Ort zu Fehlverhalten der Jugendlichen kommt, verringert. Jugendtypischen, schwierigen Verhaltensweisen wird vor Ort begegnet, aber gravierende Provokationen sind keine aufgetreten.