HaKo_reJU
Handlungskonzept für die Arbeit mit rechtsaffinen Jugendlichen im ländlichen Raum in Ostdeutschland
Das Projekt wird von Cultures Interactive (CI) im Rahmen des Bundesprogramms „TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN“ durchgeführt. Hako_reJu baut auf Erkenntnissen auf, die CI u.a. in den Vorgänger-Modellprojekten „KulturRäume2010 – ein sozialraumorientiertes Verfahrenskonzept zur Förderung von jugendkulturellen und zivilgesellschaftlichen Engagement“ und „Fair Skills – Qualifizierungslehrgänge zum/r Jugendkultur-Trainer/-in“ auf. Hier hat CI in lokalen Zukunftswerkstätten mit Jugendlichen und Akteuren aus dem Gemeinwesen und in Fortbildungen für Jugendarbeiter/-innen u.a. festgestellt, dass a) Rechtsextreme Organisationen ihre (jugendkulturelle) Dominanz vielerorts weiter ausbauen b) es seitens der Jugendarbeit und ihrem strukturellem Umfeld keine Strategien für einen professionellen und verantwortlichen Umgang mit rechtsextrem gefährdeten oder orientierten Jugendlichen gibt, und dass c) flexible, Praxis- und prozessorientierte Handlungskonzepte und Bildungsbausteine fehlen, die die Kolleg/-innen vor Ort in die Lage versetzen, gefährdete junge Menschen systematisch vor einem (weiteren) Einstieg in rechtsextreme Szenen bzw. Haltungsmuster der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zu bewahren und ihnen Alternativen aufzuzeigen.
Ablauf
Ausgangspunkt des Projektes waren eine gründliche Bedarfs- und Situationsanalyse unter Fachkräften aus der offenen Jugendarbeit in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Die Praxispartner/-innen wurden gezielt danach befragt, mit welchen Problemlagen sie in ihrem Arbeitsalltag konfrontiert sind. Diese Ergebnisse wurden zurückgespiegelt an Wissenschaftler/-innen und Fachexpert/-innen zum Themenfeld. So sind verschiedene Expertisen und Empfehlungen entstanden. Aus den Ergebnissen wurde das Handlungskonzept für die Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen entwickelt. Grundlage des Handlungskonzepts ist ein Interventionsplan, der u.a. Analysetools und praktische Methoden der Intervention und Prävention enthält. Dabei wurden orts-, milieu- und genderspezifische Besonderheiten einbezogen und mit Menschenrechts- und vorurteilssensibler Pädagogik, Demokratielernen, Förderung von Selbstwirksamkeit und Teilhabe verbunden. Parallel dazu wird eine modulare Qualifizierungsreihe angeboten, die sich primär an Mitarbeiter/-innen der offenen Jugendarbeit richtet.
Gelingensfaktoren
Um die Bedarfe für das Handlungskonzept zu ermitteln, war es notwendig, die Bedingungen der Jugendarbeit im ländlichen Raum der neuen Bundesländer wirklich zu verstehen. Dazu wurde prozessorientiert mit Einrichtungen der offenen Jugendarbeit gearbeitet, die a) tatsächlich ein Problem mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen haben und b) diese Problematik auch offen und vertrauensvoll diskutieren konnten. Dabei spielte eine wichtige Rolle, dass CI als bundesweit tätiger Träger von außen kommt.
Wichtig waren auch ein offener Fachtransfer mit regionsspezifischen Expert/-innen etwa dem Kulturbüro Sachsen, Miteinander e.V., Mobit, der Landeszentrale für politische Bildung, der Fachstelle für Gender und Rechtsextremismus der Amadeo-Antonio-Stiftung, Lichtblicke e.V. für Elternarbeit, dem Projekt „Rote Linie“, mit Violence Prevention Network und Vaja e.V. Darüber hinaus fanden ein nationaler und internationaler Fachaustausch etwa über das Radicalisation Awarness Network (RAN) der EU Commission statt.
Ebenfalls zum Gelingen des Projekts beigetragen hat die Neugierde der beteiligten Wissenschaftler/-innen, sich auf den Prozess einzulassen und in den Direktaustausch mit den Praktiker/-innen zu gehen.
Und last but not least trug das über Jahre erworbene Know-How der Mitarbeiter/-innen im Verein zu den Bereichen Rechtsextremismus, Deradikalisierung (vor allen mit jungen Menschen, die als schwierig zu erreichen gelten), Menschenrechts- und Genderspezifische Pädagogik, Bedingungen sozialer Arbeit in infrastrukturschwachen Regionen, kommunale Jugendhilfe-Strukturen etc. entscheidend zum Gelingen bei.
Lessons Learned
Jugendarbeit im ländlichen Raum ist personell und von den Ressourcen her teilweise extrem schlecht aufgestellt und immer wieder der Drohung kommunaler Kürzungen unterworfen. Das macht einen ehrlichen und professionellen Umgang mit Rechtsextremismus für die Kolleg/-innen vor Ort teilweise sehr schwierig.
Hier muss ein deutliches Zeichen der Politik her, dass offene Jugendarbeit als Ort der eigenverantwortlichen, demokratischen und weltoffenen Gestaltung wertgeschätzt und finanziell unterstützt wird. Die Bedeutung der Beziehungsarbeit, die Jugendarbeiter/-innen als Grundlage ihrer Arbeit ansehen, ist in einer auf Strafrecht ausgerichteten Deradikalisierungsarbeit, noch viel zu sehr unterschätzt.
Wissenschaftliche Erkenntnisse und empfohlene Maßnahmen müssen so aufbereitet werden, dass sie für Mitarbeiter/-innen der Jugendarbeit anwendbar sind. Das verlangt einen intensiven Austausch und den Mut, Fehler zu machen und Dinge immer wieder zu überdenken und umzuschreiben.
Die Situation mancher Jugendlicher in infrastrukturschwachen Regionen ist teilweise extrem schwierig und trostlos. Wir müssen uns viel mehr auch mit „lost generations“ beschäftigen, die in Regionen und Familien hineingeboren werden, die ihnen wenig Rückhalt und wenig Perspektive bieten. D.h. auch wir brauchen sozialraumorientierte Demokratieentwicklung.
Fazit: es ist kein Feld für einfache und schnelle Lösungen sondern ein Feld, in dem man seine Expert/-innen aus Jugendarbeit und Modellprojekten mit Wertschätzung und Absicherung bedenken sollte.