Streitkultur 3.0
Lernräume und -medien für junge Menschen zur Auseinandersetzung mit Hass und Gewalt im Netz
Internet- und Smartphonenutzung haben einen weitreichenden Einfluss auf die Identitätsbildung von Jugendlichen. Das Netz ist nicht mehr nur Kommunikationsmittel, sondern auch erster Anlaufpunkt für Informationen zu aktuellen Ereignissen. Über soziale Netzwerke sind Kinder und Jugendliche früh mit Bildern und Meldungen konfrontiert, die Angst hervorrufen können. Aktuelle (weltpolitische) Ereignisse wie Gewalt, Unterdrückung, Terrorismus oder Krieg erzeugen bei Jugendlichen zunehmend Unsicherheiten und Ängste. Es fällt schwer Meinungen von Meldungen, Gerüchte von Fakten zu unterscheiden. Durch die Schnelligkeit der Medien und die wachsende Verbreitung von Fake News und Hassreden entstehen neue Herausforderungen für Jugendliche, aber auch für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie Lehrkräfte. Die Orientierungssuche im Internet und in den sozialen Medien ist problematisch. Dort stehen häufig ungeprüft Aussagen gegen Aussagen, was zu einer zusätzlichen Verwirrung der Zielgruppe führt. Zeitgleich entstehen bereits in der Wahl der konsumierten Medien Filterblasen, die durch Algorithmen in den Sozialen Medien weiter verstärkt werden. Kontroverse Inhalte werden durch die Algorithmen der sozialen Medien nicht zugelassen, es entstehen sogenannte Echokammern. Filterblasen erzeugen Erwartungssicherheit und verhindern kontroverse Diskussionen bzw. den Dialog mit Andersdenkenden, die Möglichkeit, miteinander in Kontakt und Dialog zu treten, verringert sich – beides entscheidend für die Ausbildung demokratischer Werte und einer Multiperspektivität. All dies erleichtert es Verschwörungstheoretikern und Extremisten, Medien für ihre Sache zu instrumentalisieren, Angst zu schüren oder Jugendliche sogar zu radikalisieren. Deshalb entwickelt das Modellprojekt Formate, die Jugendlichen sowie Multiplikator_innen eine kritische Medienkompetenz vermitteln. Diese soll dazu befähigen, zum einen der Unsicherheit zu begegnen und andererseits Strategien im Umgang mit ihrer eigenen Filterblase zu entwickeln.
Ablauf
Das Modellprojekt Streitkultur 3.0 bereitet die Themen dialogorientiert auf: Jugendliche werden in einem partizipativen Prozess gegenüber Hass, Hetze und Diskriminierung im Netz sensibilisiert und entwickeln gemeinsam mit dem Team der Berghof Foundation Strategien, jugendaffine Zugänge und Lernmedien (Trickfilme; App) für den Umgang von Hass und Hetze im Netz. Mittels innovativer Methoden werden die Medien- und Informationskompetenzen der Jugendlichen gestärkt und Handlungskompetenzen entwickelt, die sie zu einer kritischen Mediennutzung befähigen. Dadurch können sie an einer offenen und demokratischen Diskussionskultur im Netz teilhaben. Als Ergebnis des Projekts entstehen Formate für Dialoglabore, die für Schulen und in der Jugendarbeit angeboten und von qualifizierten Jugendlichen (Peers) oder Lehrkräften durchgeführt werden.
Jugendlichen werden Möglichkeiten („Räume“) angeboten, um sich kritisch mit demokratie- und menschenfeindlichen Informations- und Meinungsbildungsangeboten im Netz beschäftigen zu können und sich in einem dialogorientierten, partizipativen Prozess an der Entwicklung von Lernmedien zur Stärkung einer Streitkultur im Netz und eines Peergroup Ansatzes „Dialoglabor 2020“ zu beteiligen. Dieser zweifache Prozess stärkt die Informations- und Handlungskompetenz nicht nur der direkt an den Prozessen beteiligten Jugendlichen. Das Projekt setzt unmittelbar an den Bedürfnissen der Zielgruppe Kinder und Jugendliche an (Suche nach Bewertungsmöglichkeiten von Informationen, nach Werteorientierung und nach Beteiligungsmöglichkeiten) und stellt sie in den Mittelpunkt der initiierten und begleiteten Lernprozesse. Durch das offene, dialogorientierte und partizipative Konzept des Projektes ist eine hohe Akzeptanz seitens der beteiligten Jugendlichen gegeben und, darauf aufbauend, auch bezüglich der gemeinsam erarbeiteten Lernmedien und Lernangebote.
Die folgenden Themengebiete werden im Projekt bearbeitet (und sind auch Bestandteil der Workshops bzw. der Dialoglabore):
- T 1: Fake oder Fakt: Zum kritischen Umgang mit Informations- und Meinungsbildungsangeboten
- T 2: Hass und Hetze: Angebote gegen Menschenverachtung, Ausgrenzung und Gewalt
- T 3: Bots und Algorithmen: Leitfaden für Multiperspektivität statt Meinungsmache
- T 4: Kritische Medienkompetenz: Beiträge zu einer digitalen Ethik
- T 5: Engagement im Internet: Gewaltfreiheit und Demokratie stärken
Die in einem partizipativen Prozess erstellten Lernmedien (Lernmodule, App, Trick- und Erklärfilme, Leitfäden) werden über die Internetplattform frieden-fragen (www.frieden-fragen.de) verbreitet, in Fortbildungsveranstaltungen für Multiplikator_innen zugänglich gemacht und als Teil eines Peergroup Ansatzes in unterschiedlichen Bildungskontexten eingesetzt. Kinder und Jugendliche lernen mit Hass und Gewalt im Internet umzugehen, sich zivilgesellschaftlich im Netz zu engagieren und Beiträge zu einer demokratischen Streitkultur in sozialen Medien zu leisten.
Gelingensfaktoren
Im Mittelpunkt der Projektarbeit stand die Konzeption und Entwicklung modular aufgebauter jugendaffiner Lernmaterialien innerhalb der App Streitkultur 3.0, die in der schulischen und außerschulischen Bildung mit jungen Menschen eingesetzt werden kann.
Die einzelnen Lernmedien in unterschiedlichen Projektphasen gemeinsam mit jungen Menschen zu entwickeln, zu testen und fortwährend anzupassen, hat sich bewährt. So konnte direkt an die digitale Lebenswelt Jugendlicher angeknüpft und sich an ihren Bedürfnissen orientiert werden. Der modulare Aufbau der Lern-App begegnet zudem den Anforderungen hoher Flexibilität und variierenden Bedarfen in der alltäglichen Bildungsarbeit mit jungen Menschen. Insgesamt hat es sich als erfolgreich erwiesen, digitale Impulse zu setzen, um an der digitalen Lebenswelt und Erfahrungen der Jugendlichen anzuknüpfen und neue Lernräume zu schaffen.
Lessons Learned
Jugendliche verfügen in der Regel über vielfältige Erfahrungen mit Hass, Gewalt, Desinformation oder Diskriminierung im Netz.
Digitale Impulse innerhalb der Lern-App ermutigen sie, sich damit auf einer individuellen Werte-Ebene auseinanderzusetzen, während besonders die Offline Phasen einem gemeinsamen Reflektion- und Meinungsaustausch in der Gruppe dienen. So konnten neue Lernräume zum Wissens- und Kompetenzerwerb eröffnet werden. Für eine erfolgreiche Umsetzung der Online und Offline Phasen müssen jedoch räumliche wie auch technische Gegebenheiten mitbedacht werden, weshalb sich die Orientierung am Prinzip – „Bring your own device“ – das Arbeiten mit dem eigenen Smartphone – im Projekt als sinnvoll erwiesen hat.
Der Einsatz von Smartphones als Lernwerkzeug gehört in den meisten Schulen noch nicht zur alltäglichen Praxis. Von daher ist es von Bedeutung, vor Beginn der Workshops Regeln zum Umgang mit Smartphone und Earphones aufzustellen