Verknüpfungen. Antisemitismus in der pluralen Gesellschaft
Antisemitismus und Rassismus sind in unserer Gesellschaft weit verbreitet und prägen sie auf vielfältige Art und Weise. Beide Phänomene weisen viele Gemeinsamkeiten, aber auch wesentliche Unterschiede auf – und zahlreiche Verknüpfungen in Geschichte und Gegenwart. Die Erscheinungsformen dieser beiden Ungleichwertigkeitsideologien und die biografischen Zugänge zum Themenfeld sind ebenso vielfältig wie die plurale Gesellschaft selbst, in der sie verortet sind. Antisemitismus- und rassismuskritische Bildung muss deshalb die unterschiedlichen Formen, Bezüge und gesellschaftlichen Positionierungen berücksichtigen. Das Projekt befasst sich mit den Fragen, wie eine Pädagogik gestaltet sein muss, die den vielfältigen Zugängen gerecht wird, aber keine zuschreibenden Gruppenkonstruktionen reproduziert, und wie verknüpfte Erinnerungen zu Inklusion und Partizipation führen und gleichzeitig verhindern, dass Antisemitismus und Rassismus gegeneinander ausgespielt werden.
Das Projekt arbeitet mit Schüler_innen des 9. und 10. Jahrgangs an Gesamt- und Oberschulen in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen, die größtenteils in strukturschwachen Gebieten und/oder sozialen Brennpunkten liegen. Die Schüler_innen bringen ganz unterschiedliche Zugänge zu den Projektthemen mit, ganz unterschiedliche Erfahrungen von Zugehörigkeit(en), Zuschreibungen und Positioniert-Werden. Dazu gehören eigene Rassismus- und Antisemitismuserfahrungen, Benachteiligungen aufgrund der sozialen Stellung wie zum Beispiel erschwerte Zugänge zur „klassischen“ Bildung sowie die Erfahrung, dass die Mehrheitsgesellschaft ihnen die Zugehörigkeit verweigert und/oder ihre (kollektiven) Narrative nicht anerkennt. Wie in der Gesamtgesellschaft sind auch unter den Jugendlichen antisemitische und rassistische Stereotype und Denkmuster weit verbreitet. In der Regel münden diese Einstellungen jedoch nicht in geschlossene ideologische Weltbilder. Das Projektkonzept gründet auf der Beobachtung, dass die unterschiedliche Geschichte in Ost und West bis heute fortwirkt und sich bei den Schüler_innen in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen in unterschiedlicher Weise niederschlagen kann. Das kann zum Beispiel im Hinblick auf sekundären Antisemitismus (die Abwehr der Erinnerung an den Holocaust) der Fall sein, aber auch, wenn es um Antisemitismus geht, der sich auf Israel und den israelisch-palästinensischen Konflikt bezieht.
Eine weitere wichtige Zielgruppe sind Schulleiter_innen, Lehrer_innen und Schulsozialarbeiter_innen insbesondere an unseren Partner_innen-Schulen. Doch auch Eltern und andere Bezugsgruppen der Jugendlichen sowie andere Multiplikator_innen der politischen Bildung, der (Schul-)Sozialarbeit und der Jugendarbeit soll das Projekt ansprechen.
Die Ziele des Projekts lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Räume für eine (selbst-)kritische Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Rassismus unter Jugendlichen sowie pädagogischen Fachkräften schaffen
- gemeinsam Handlungsoptionen und -alternativen entwickeln
- neue pädagogische Konzepte, Methoden und Materialien zur multiperspektivischen Auseinandersetzung mit dem Themenfeld erarbeiten
- ein langfristiges Engagement der beteiligten Schulen gegen Antisemitismus und Rassismus stärken
- Lehrer_innen und andere Multiplikator_innen inhaltlich und methodisch fortbilden
Ablauf
In den Seminaren und Projekttagen werden die Interessen und Bedürfnisse der Teilnehmer_innen in den Mittelpunkt gestellt. Das Projekt arbeitet lebensweltbezogen, dialogisch und diversitätsbewusst und setzt vielfältige kreative Methoden ein. Abhängig von der jeweiligen Teilnehmer_innengruppe werden unterschiedliche methodische Ansätze formuliert. Dazu gehören zum Beispiel die Arbeit mit Eigen- und Fremdbiografien, Perspektivwechsel- und Positionierungsübungen, Straßeninterviews und Spurensuchen, theater- und begegnungspädagogische Elemente, Internet-Recherchen und anderes mehr.
Um ausreichend Zeit für die inhaltliche und die medienpädagogische Auseinandersetzung zu dem komplexen Themenfeld zu haben, wird mit jeder Gruppe möglichst sieben Tage lang zusammengearbeitet. In den ersten Tagen steht die inhaltliche Erarbeitung des Projektthemas im Mittelpunkt. Anschließend produzieren die Schüler_innen in Kleingruppen Kurzfilme zum Thema. Sie werden in Regie, Kamera und Schnitt eingeführt, entwickeln gemeinsam ein Skript, filmen in der Schule oder in ihrer Stadt und lernen dann, das Filmmaterial auszuwerten und daraus Video-Clips zu schneiden. Ihre Kurzfilme werden an den Schulen präsentiert und im Internet veröffentlicht, unter anderem auf der Projekt-Website (http://www.verknüpfungen.org/filme/). Die Teilnehmer_innen erhöhen so ihre Medienkompetenz und machen gleichzeitig Erfahrungen der Selbstwirksamkeit und Teilhabe.
Zur Erweiterung der Perspektivenvielfalt werden lokale und regionale Partner_innen aus dem sozialen, kulturellen und religiösen Bereich eingebunden, z. B. in Form von Exkursionen zu außerschulischen Institutionen und/oder Expert_innen-Gesprächen. Einige Schüler_innen erhalten zudem die Möglichkeit, im Rahmen einer fünftägigen Jugendbegegnung Teilnehmer_innen aus dem anderen Bundesland zu treffen, die Projekterfahrungen zu vergleichen und zusammen weitere Kurzfilme zu erarbeiten.
Die mitwirkenden Lehrer_innen und Schulsozialarbeiter_innen werden zur Stärkung ihrer Handlungssicherheit nach und nach mithilfe von Hospitationen und Fortbildungen in die entwickelten Konzepte und Methoden eingeführt. So können sie einerseits die Prozesse der Jugendlichen beobachten, analysieren und reflektieren und dabei ihr Wissen über Lebenswelten, Zugänge und inhaltliche Verarbeitungsformen der Jugendlichen erweitern. Andererseits wird ihnen das erforderliche pädagogische Handwerkszeug vermittelt, um das Themenfeld über das Modellprojekt hinaus eigenständig an ihrer Schule bearbeiten zu können.
Die medienpädagogischen Seminare des Projekts richten sich an bildungsbenachteiligte Jugendliche und werden an Schulen in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg in der 9. und 10. Jahrgangsstufe erprobt. Eingesetzt werden möglichst kreative und spielerische Methoden, die zum Beispiel mit Filmen, Rollen- und Planspielen, Musikvideos, Quizspielen oder Paarinterviews arbeiten. Am Ende der Seminare produzieren die Schüler_innen eigene Kurzfilme gegen Antisemitismus und Rassismus, die an den Schulen und im Internet präsentiert werden.