Ziele und Zwecke des Zwischenmenschlichen
Konflikte und Grundwerte in Deutschland
Das Konzept des Kerncurriculums „Ziele und Zwecke des Zwischenmenschlichen – Konflikte und Grundwerte in Deutschland“ wurde vom Rhein-Ruhr-Institut für Sozialforschung und Politikberatung im Modellprojekt „Ethnisierung von Religion und Kultur“ im Rahmen des Bundesprogramms TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN entwickelt. Es wurde in Kooperation mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren erarbeitet und mit diversen Zielgruppen in der beruflichen Bildung, mit Studierenden oder in Integrationskursen für Migrant/-innen erprobt. Explizite Erfahrungen mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen liegen bisher nicht vor.
Das Curriculum will für den Umgang mit vielfältigen kollektiven Gruppenwahrnehmungen Ansätze jenseits von interreligiösen Dialogen oder Interkulturalität vorstellen. Die Grundannahme ist, dass negative Fremdwahrnehmungen auf positiven Selbstwahrnehmungen beruhen, d. h. dass ein positiver Wert, der für das eigene Leben empfunden wird, vermeintlich nicht durch andere Gruppen geteilt wird und diese den negativen Gegenwert verkörpern. Daher wird der Zugang über die individuellen Wertevorstellungen der Teilnehmenden gewählt und darüber der Dialog gesucht.
Inhalt
Das Curriculum besteht aus vier Modulen. Zuerst werden die Grundwerte der Teilnehmenden ermittelt und somit ein Überblick über die Werteorientierung gegeben. Hierbei wird auch die Vereinbarkeit bzw. ggf. die Unvereinbarkeit der verschiedenen Werte überprüft. Für die Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendliche ist hier bedeutsam, deren Wertvorstellungen im Diskurs erst einmal zuzulassen und diese nicht reflexartig zurückzuweisen. Im zweiten Modul werden Grundformen des Zwischenmenschlichen thematisiert. Es wird gefragt, welche Arten bzw. Gruppen des zwischenmenschlichen Zusammenseins wie Familie, Betrieb, Religionsgemeinschaft, Schule etc. es gibt, welche Funktion diese Gruppen erfüllt und was deren Mitglieder motiviert, Teil der Gruppe zu sein. Im dritten Modul wird der Schritt von Gruppen zu Gesellschaften gegangen. Es wird thematisiert, zu welchem Zweck und mit welchen Werten sich Gesellschaften konstituieren und wie diese mit den individuellen Werten der Teilnehmenden korrespondieren. Im abschließenden Modul sollen Konfliktlösepotenziale pluraler Gesellschaften thematisiert werden. Hierbei werden die erarbeiteten Wertevorstellungen mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik abgeglichen. Hierbei wird das Konfliktpotenzial zwischen verschiedenen Grundwerten aufgezeigt und Lösungsstrategien werden angeboten.
Die Zielgruppe des Curriculums ist bewusst nicht spezifiziert. Eine zu enge Zielgruppendefinition würde dem Vorhaben der Problematisierung von Gruppenkonstruktionen widerstreben, da diese selbst einer kollektiven Gruppenwahrnehmung unterliegt. Der Fokus liegt aber vor allem auf Phänomenen wie politisch-religiösem Fundamentalismus, bei denen Differenzen zwischen Bürger/-innen durch exkludierende Nationalismen und integralistische Glaubenslehren überhöht werden. Strukturell zeigen sich hier deutliche Parallelen zum Rechtsextremismus.
Gelingensfaktoren
Vorkenntnisse auf Seiten der Pädagogen sind nicht erforderlich. Das Konzept ist so aufbereitet, dass dieses nach kurzer Vorbereitungszeit unmittelbar in der Präventionsarbeit für Zielgruppen mit unterschiedlichem Bildungsniveau eingesetzt werden kann. Erforderlich für eine gelungene Umsetzung ist indes die emotionale Bereitschaft, sich auf die Vielfalt wie Einfalt individueller wie gesellschaftlicher Werteorientierungen einzulassen. Ein Bewusstsein dafür, dass negative Fremdbestimmungen nur selten aus reiner Boshaftigkeit heraus erfolgen, sondern vielmehr zumeist auf einer Vereinseitigung oder Verabsolutierung dessen beruhen, was als gut, wertvoll, zweckhaft, zielführend oder erstrebenswert empfunden wird, ist daher bei der Umsetzung des Konzepts hilfreich. Entscheidend für das Gelingen ist mit anderen Worten ein Wissen darum, dass die Grundordnung unserer Gesellschaft nicht nur viele Werte, Paradigmen, Güter, Ziele oder Zwecke des Handelns umfasst, sondern mindestens ebenso viele Formen der Überschätzung oder Unterschätzung dessen, was isoliert bzw. für sich betrachtet durchaus ein Gut ist.
Lessons Learned
Prinzipielle Einsichten wie diejenige, dass die Grundwerte unserer Gesellschaft nicht nur spannungsgeladen sind, sondern aufgrund ihrer wechselseitigen Ergänzung wie Begrenzung auch Konfliktlösungspotenziale aufweisen, die einen Umgang mit kultureller und religiöser Einfalt wie Vielfalt ermöglichen, erfordern eine umsichtige Konkretisierung. Ein Konzept ist hilfreich, aber selbstredend ersetzt es nicht die in der Praxis stets aufs Neue erforderliche Balance zwischen der Offenheit gegenüber der jeweiligen Zielgruppe und einem prinzipiengeleiteten Ethos.